Farbenfrohes Geschenk für Buenos Aires

Farbenfrohes Geschenk für Buenos Aires

10-Meter-Skulptur „Árbol de los deseos” von Marta Minujín eingeweiht

Von Susanne Franz

Am Samstag, dem 20. Dezember, wurde auf der Fußgängerzone Florida im Herzen von Buenos Aires die Skulptur “Árbol de los deseos” (Baum der Wünsche) der argentinischen Künstlerin Marta Minujín eingeweiht. Der kleine Platz “Plazoleta Juvenilia” (Florida 1000) am Eingang in die Fußgangerzone – nahe der Plaza San Martín – soll ab sofort die erste Station eines neuen Kunst-Rundganges auf der Calle Florida sein. Das farbenfrohe, 10 Meter hohe Werk Minujíns lädt die Bürger und Besucher der Stadt Buenos Aires ein, ihren Wünschen und Zielen für das Jahr 2015 Ausdruck zu verleihen. Neben dem Baum befindet sich ein Briefkasten, in den diese Botschaften eingeworfen werden können.

Die monumentale Skulptur ist aufblasbar und kann auch wieder “zusammengefaltet” werden. Mit ihren fröhlichen Farben soll sie die “Ankunft der Kunst” und die Verabschiedung des Jahres mit einem Geschenk für die Stadt symbolisieren. Es ist geplant, das Kunstwerk auch in den kommenden Jahren an Weihnachten “wiederauferstehen” zu lassen.

Der “Árbol de los deseos” ist das erste Werk eines geplanten Kunst-Rundganges für das Jahr 2015. Im Laufe des kommenden Jahres werden 30 Künstler ihre Werke, Botschaften und Farben entlang der Calle Florida präsentieren. Die Idee, die Fußgängerzone als Kunstort zu verwenden, stammt vom Verein der Freunde und Förderer der Calle Florida (Asociación Amigos de la Calle Florida) und wird vom Kulturministerium und dem Ministerium für den öffentlichen Raum der Stadt unterstützt. Ziel ist, den großen künstlerischen Reichtum der Stadt sichtbar zu machen.

2015 werden also auf den Plätzen, in den Schaufenstern, an den Wänden und auf den Bürgersteigen der Calle Florida Interventionen von bedeutenden argentinischen Künstlern zu finden sein, darunter, neben Marta Minujín, Gyula Kosice, Edgardo Giménez, Marcos Zimmermann, Ernesto Ballesteros, Dino Bruzzone, Andrés Paredes, Julia Masvernat, Marina De Caro, Elisa Strada, Juan Gatti, Nicanor Aráoz, Rosana Schoijett, Delia Cancela, Juan Stoppani, Eduardo Costa, Mariela Scafati, Flavia Da Rin, Diana Aisenberg, Silvia Gurfein, Fabiana Imola, Jorge Miño, Anna Lisa Marjak, Pablo Lozano, Verónica Di Toro, Facundo De Zuviría, Silvia Rivas, Silvana Lacarra, Hernán Marina, Marula Di Como & Cristian Dios, Daniel Kiblisky, Esteban Pastorino und Alberto Goldenstein.

Das Projekt wurde von Gabriela Urtiaga und Ana Martínez Quijano kuratiert und möchte ein Zeichen setzen: es möchte erreichen, dass die Zeit auf dieser hektischen Fußgängerzone für einen Moment zum Stillstand kommt, dass ein Moment des Innehaltens stattfindet, in dem der Betrachter eines jeweiligen Kunstwerkes eine Atempause geschenkt bekommt, einen kleinen Augenblick in der Gegenwart, in dem er zurückblicken und auch nach vorne, in die Zukunft, schauen kann.

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Der fröhliche “Árbol de los deseos”.

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Einweihung im Regen: Marta Minujín (mit gelbem Schirm), links neben ihr Kulturminister Hernán Lombardi.

 

Link zu den Ausstellungen in der Kunstgalerie an der Ruhr, Mülheim, Ruhrgebiet, Alemania

Einzigartig und unverwechselbar: Gemälde von Rómulo Macciò im Centro Cultural Recoleta

 

Kolumne von Susanne Franz

Der große alte Mann der argentinischen Malerei, ganz jung: Im Cronopios-Saal des Centro Cultural Recoleta (Junín 1930, Buenos Aires) wurde am 29. April die Ausstellung “Repertorio” von Rómulo Macciò (geb. 1931) eröffnet. In der Stille und Weite des Saales entwickeln die großformatigen Werke des Meisters ihren Zauber: Jedes der Bilder ist einzigartig und verrät doch die unverwechselbare Handschrift Macciòs.

ROMULO MACCIO

Leidenschaft und Mut sind seine Antriebskräfte – doch auch Kämpfe scheint er in diesen jüngsten Werken von 2013 und 2014 auszufechten. Ist es ein Kampf Mensch gegen Maschine, der analogen gegen die digitale Welt, der Natur gegen dieUmweltzerstörung, der Liebe gegen die Einsamkeit? Viele der Werke besitzen zwei Ebenen, die miteinander kontrastieren und Einklang zu suchen scheinen, etwa eine schwarze Fläche – ein Bildschirm? – und ein Kopf, aus dem Ideen und Kreativität züngeln. In anderen Werken erscheinen Köpfe oder Silhouetten hinter einer oder als eine Art Strichcode.

 

Ob Anklage, philosophisches Gedankenspiel oder lebens- und farbenfrohes Fest: Mit jedem Bild kann der Zuschauer in einen Dialog treten. Die von Renato Rita kuratierte Schau ist sehr sehenswert. “Repertorio” ist bis zum 30. Mai zu sehen (Di-Fr 13-20, Sa, So und feiertags 11-20 Uhr. Eintritt frei).

Ende April findet die neue Kunstmesse Mirá im Centro Cultural Recoleta in Buenos Aires statt

Eine Vielzahl junger, bislang wenig bekannter Künstler werden ab Ende April 2014 ihr Talent auf der „Mirá“ unter Beweis stellen.

OBELISK KOLUMNE im Blog Kunststadt-MH.de von Susanne Franz

Ein Fest soll es werden, eine Begegnung, eine Zelebration, ganz im Sinne des deutschen Philosophen Hans-Georg Gadamer, der sich in seinen Schriften gegen eine Einteilung in hohe und niedere Kunst wehrte und stattdessen die Kunst als etwas feierte, das das eigentliche Menschsein ausmacht. “Man muss feiern können!”, sagte Julio Sapollnik bei der Ankündigung der Kunstmesse Mirá, die vom 24. bis 27. April zum ersten Mal im Centro Cultural Recoleta stattfinden wird. Das gesamte untere Stockwerk des beliebtesten Kunsttempels der Stadt Buenos Aires soll mit dem Gratis-Event belegt werden, einzige Ausnahme ist der Cronopios-Saal, in dem kurz nach der Messe eine große Rómulo Macció-Schau startet.
Sapollnik ist Kunstexperte und gemeinsam mit Patricia Altmark Produzent der Kunst- und Kultur-TV-Sendung “Cultura al Día”. Altmark ist eine der drei Organisatorinnen von Mirá. Die anderen beiden sind Graciela Smith, Herausgeberin der Zeitschrift “Magenta”, und Susana Araujo, die Herausgeberin von “Qué Hacemos”.
“Eine Kunstmesse zu organisieren, ist gefährlich!”, sagt Sapollnik und spielt damit vielleicht darauf an, dass man von allen Seiten bekniet wird, ob man teilnehmen dürfe. “Wenn man es trotzdem wagen sollte, dann mit diesen drei Mädels!” Die drei strahlen und bedanken sich vor der versammelten Presse.
Mirá ist nicht wie die anderen Messen. Sie ist zwar eine Verkaufsmesse, aber es gibt keine “Stands”. “Mirá hat ein offenes Format”, beschreibt es Graciela Smith. Auf diese Weise sei der Kontakt zwischen Künstlern und Publikum direkt und ohne “Makler”. Banco Ciudad heißt der große Unterstützer der Messe, der auch die beiden Zeitschriften und das TV-Programm sponsert. Im Rahmen der Messe fördert Banco Ciudad zudem den jungen Künstler Iván Enquín (geb. 1987) mit einer Sonderausstellung.
Auf der Kunstmesse Mirá werden eine Vielzahl junger, bislang wenig bekannter Künstler ihr Talent unter Beweis stellen, es stehen aber auch renommierte Namen wie Milo Lockett, Juan Doffo, Alejandro Raineri oder Raquel Bigio auf der Liste der 170 teilnehmenden Künstler.
Zum Nebenprogramm gehört u.a. ein Vortrag von Marino Santa María über öffentliche Kunst am Samstag, den 26. April, um 17 Uhr.
Mirá wird am 23. April um 18 Uhr eröffnet und ist Donnerstag und Freitag von 13 bis 20 Uhr sowie Samstag und Sonntag von 11 bis 20 Uhr bei freiem Eintritt geöffnet.
“Mirá” heißt frei übersetzt “Schau her”! Auf den mit viel Enthusiasmus organisierten Kulturevent kann man wirklich gespannt sein.
Weitere Infos auf der Webseite der Messe: http://www.mirafestival.com.ar/

 

Titelfoto: Centro Cultural Recoleta in Buenos Aires

Link zum Blog „Kunst in Argentinien“ von Susanne Franz

OBELISK KOLUMNE: Lustwandeln im Paradies

Der Andalusische Garten des Museums “Enrique Larreta” in Buenos Aires
Von Susanne Franz

Der “Jardín Andaluz” des Museums Enrique Larreta ist eine Oase der Ruhe inmitten der hektischen Großstadt Buenos Aires. Ein Spaziergang durch die labyrinthartigen Wege, der vorbei an grünen Büschen, schattenspendenden Bäumen und blühenden Pflanzen führt, lädt den Besucher ein zur Meditation und spricht alle seine Sinne an.
Der Garten umfängt den Gast mit seinem Zauber, sobald er ihn betritt. Wege und Kreuzgänge sind so angelegt, dass man sich in ihnen zu verlieren scheint – und auch gerne bereit dazu ist -, obwohl der Garten eher klein ist. Doch er vervielfältigt sich, denn egal aus welcher Richtung man kommt, wohin man sich wendet – die Perspektive verändert sich unaufhörlich.
Hunderte Schattierungen der Farbe Grün beruhigen das umherschweifende Auge. Blühende Pflanzen oder Büsche sind eher spärlich gesät, denn die Konzentration des Betrachters soll nicht abgelenkt werden. Auf einem kleinen Platz befindet sich ein achteckiger Brunnen aus Marmor, der von vier Fröschen aus Keramik gesäumt ist. Er ist mit Wasser gefüllt, das sich in kleinen konzentrischen Kreisen langsam bis zum Rande bewegt und dann in ein Abfangbecken überläuft. Auch dieses stille, unendliche Spiel des Wassers und der Wellen lädt zur Beruhigung des Geistes ein.
Überall sind die Sinne angesprochen, sie werden erhöht und geschärft, ohne überreizt zu werden. Blüten wie Jasmin verströmen einen betörenden Duft, auch die für die Andalusischen Gärten so typischen Orangenbäume. Vogelgezwitscher und das Summen der Bienen und Hummeln streicheln das Ohr. Der Boden ist mal aus hartem Lehm und dann – plötzlich – knirschen Kieselsteine unter den Füßen. Das Gehen selbst wird zu einem sinnlichen Erlebnis.

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Sehen, Riechen, Hören, seine Füße auf dem Boden spüren, all diese Sinneserfahrungen werden durch die Anlage des Gartens verstärkt. Dieser einzige hispano-islamische Garten in ganz Lateinamerika wurde nach dem Vorbild der spanischen Gärten Anfang des 20. Jahrhunderts von der wohlhabenden argentinischen Familie Larreta angelegt.

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In Spanien waren diese Gärten von den Arabern errichtet worden, die in dem europäischen Land Bedingungen vorfanden, welche sie aus ihren Herkunftsländern voller Wüsten nicht kannten: Grüne Pflanzen, Blumen, aber vor allen Dingen das lebensspendende Wasser. So bauten sie Lustgärten, vom Menschen geschaffene und gezielt angelegte Paradiese, die selbst ihre Oasen ihnen nicht bieten konnten.
Die Araber in Spanien bauten ihre Gärten wiederum nach dem Vorbild der Perser, in deren Sprache “Garten” gleichbedeutend mit Paradies ist.
Der paradiesische Garten des Museums Larreta folgt dem Vorbild berühmter Lustgärten in Spanien. Auch hier wird zum Ansprechen der Sinne ein Spiel mit abrupten Wechseln gespielt: So tritt man, wenn man aus einem schattigen kühlen Gang herauskommt, plötzlich und unvermittelt in die pralle Sonne. So wächst in den Quadraten innerhalb der streng geschnittenen Hecken, die die labyrinthartigen Wege säumen, eine wilde, natürliche Vegetation. Die Araber pflegten sich mit dem Rücken zu den Hecken zu stellen und die Samen über die Schulter zu werfen. Der Baum oder Busch sollte dann dort wachsen, wo der Samen hingefallen war. Die Freiheit, die von der Ordnung umrahmt ist, nannten sie diese Technik, oder: die Ordnung, die die Freiheit umgibt.

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Der Boden verändert sich urplötzlich unter den Füßen, die Gerüche ändern sich während des Lustwandelns durch den Garten laufend. All dies scheint willkürlich, ist aber sorgfältig geplantes Menschenwerk – ein vom Menschen für den Menschen gestaltetes und geschaffenes Paradies.

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(Andalusischer Garten des Museums Enrique Larreta, Juramento 2291, Stadtteil Belgrano. Informationen: http://www.buenosaires.gob.ar/areas/cultura/museos/dg_museos/larreta_jardin.htm)

Woody Allen in Knallerfarben

Warum eine schlechte Ausstellung ein Publikumsrenner werden könnte

Von Susanne Franz

Mitten in die Diskussion, ob Woody Allen seine Adoptivtochter Dylan Farrow missbraucht hat, als diese sieben Jahre alt war, platzt in Buenos Aires eine Ausstellung mit knallbunten Gemälden, die den bekannten und für seine Kunst hoch geschätzten US-Regisseur und -Musiker zum “Thema” haben.

Da hängt Woody Allen im Großformat und in Signalfarben an den Wänden des Centro Cultural Borges, als Porträt, mit Klarinette usw., während man gerade versucht, sich einen Reim auf diese fürchterliche Geschichte zu machen: ein schreckliches Familiendrama, bei dem Dylan in jedem Fall das Opfer ist, ob sie nun wirklich missbraucht worden ist, oder ob sie von ihrer Mutter Mia Farrow in deren Hass auf ihren Ex-Mann soweit beeinflusst wurde, dass sie heute tatsächlich glaubt, was nie geschehen ist. Niemand wird je erfahren, was wirklich passiert ist. Woody Allen beteuerte in einer Stellungnahme sehr überzeugend seine Unschuld, aber ein Rest Zweifel wird immer bleiben.

Als der Maler Hugo Echarri seine Ausstellung plante, lag von einem derartigen Skandal nichts in der Luft, er kann kaum damit spekuliert haben. Womit er sicher spekuliert hat, ist die große Beliebtheit und Bekanntheit Woody Allens. Indem er ihn zum Sujet seiner Werke macht, gerät in den Hintergrund, dass er kein besonders guter Künstler ist. Dazu die Knallerfarben, und fertig ist die “erfolgreiche” Ausstellung.

Noch zwei weitere Faktoren tragen dazu bei, dass diese mediokre Schau den Weg an die große Öffentlichkeit finden konnte: das Sommerloch und mit ihm der Mangel an guten Ausstellungen und anderen hochwertigen kulturellen Angeboten; und die Tatsache, dass Hugo Echarri als Mitglied in wichtigen Jurys von Wettbewerben eine einflussreiche Persönlichkeit im Kunstbetrieb ist.

Als die Ausstellung am 6. Februar eröffnet wurde, herrschte ein großer Presserummel, alle wollten Stellungnahmen zum Skandal um die Missbrauchsgeschichte hören. Ein Bild zeigt Woody Allen am Kreuz – heißt das, dass der Künstler also auf seiner Seite steht und ihn als Opfer betrachtet? Abgespeist wurde man mit Sprüchen wie dem der Kuratorin Diana Saiegh: “Die Umstände um den familiären Konflikt Allens potenzieren nur noch den universellen, umstrittenen und mysteriösen Flair, der seine Persönlichkeit umgibt.”

Ob der Schuss in Echarris Ausstellungsplanung wirklich nach hinten losgegangen ist, wie nach dem hier Beschriebenen vielleicht anzunehmen wäre, ist indessen noch fraglich. Woche für Woche besuchen Tausende Menschen die Ausstellung und bezahlen dafür mit 40 Pesos ein saftiges Eintrittsgeld. Ob sie Antworten suchen? Sie werden sie in Echarris Ausstellung nicht finden.

Am 2. März 2014 werden die Oscars verliehen. Bei den 86. “Academy Awards” ist Woody Allen als bester Schreiber eines Originaldrehbuchs für “Blue Jasmine” nominiert – ein Film, der selbst aus seiner herausragenden Filmographie hervorsticht. Werden sich die Jury-Mitglieder hinter Allen stellen und ihm die verdiente Auszeichnung geben? Das wäre auch eine politische Entscheidung.

Die Ausstellung von Hugo Echarri im Borges-Kulturzentrum läuft bis zum 6. März. Ob sie im Falle eines Oscargewinns von Woody Allen wohl verlängert wird? Wird sie danach vielleicht erst recht zum Publikumsmagneten? Dann würde es heißen: Erfolg auf der ganzen Linie für Hugo Echarri.

(Bildnachweis:  Werk von Hugo Echarri als Anlage zum Presseverteiler der Ausstellung zur Veröffentlichung.)

Der Herr der Giganten und Zwerge: Ron Mueck in Buenos Aires

Von Susanne Franz

Die spannendste Ausstellung in Buenos Aires ist zur Zeit die Schau der hyperrealistischen Skulpturen des Künstlers Ron Mueck in der Fundación Proa. Es ist die erste Exposition des Australiers in Lateinamerika. Am 30. Januar meldete die Kunstgalerie im Stadtteil La Boca, die in nächster Nähe des Touristenmagneten „Caminito“ liegt, den 100.000. Besucher der Schau, die am 16. November 2013 eröffnet wurde. Damit wird die Ausstellung, die noch bis zum 23. Februar 2014 läuft, sicher eine der am besten besuchten in der Geschichte der argentinischen Hauptstadt werden, auch wenn sie vielleicht nicht an die 196.000 Besucher herankommt, die die Ausstellung der Japanerin Yayoi Kusama letztes Jahr im Malba zu verzeichnen hatte.

Schon jetzt ist es für den eher kleinen Kunsttempel Proa schwierig, die Massen unter Kontrolle zu halten; besonders an den Wochenenden bilden sich lange Schlangen auf der Explanade vor der Galerie. Drinnen herrscht dann großes Gedränge rund um die wenigen Skulpturen des Meisters Mueck, und im Auditorium, wo ein Dokumentarfilm über die Arbeitsweise des Künstlers gezeigt wird, findet man kaum ein Plätzchen und es herrscht ein ständiges Kommen und Gehen, was nicht gerade zum Genuss beiträgt, diesen hochinteressanten Film zu sehen, in dem kaum ein Wort gesprochen wird.

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Ausschnitt aus dem Film „Still Life: Ron Mueck at work“: Der Künstler beim ersten Schritt zur Skulptur „Young couple“ – er formt die Figuren aus Ton.

Es empfiehlt sich, bevor man den Film anschaut, zuerst einmal durch die Ausstellung zu gehen. Wenn man hereinkommt und das alte Paar am Strand unter dem Sonnenschirm sieht, beide im Riesenformat, erinnert man sich urplötzlich, wie man sich als kleines Kind in der Gegenwart riesiger Erwachsener fühlte. Auch wenn dieser Effekt nur eine Sekunde anhält, ist es doch eine starke Bewusstseinsverschiebung, die man in gewisser Weise auch bei den anderen Menschenskulpturen Muecks – im Mini- oder „mittleren“ Format – empfindet, oder angesichts eines überdimensionalen, an den Beinen von der Decke hängenden Hahn-Kadavers, oder beim Betrachten einer blau gestrichenen Wand, an der eine Luftmatratze hängt, auf der ein kleiner Mann in Badehose und mit Sonnenbrille liegt. Schaut man aus einer bestimmten Entfernung auf diese Wand, hat man das Gefühl, in der Luft zu schweben und den Mann von oben zu betrachten, während man gleichzeitig die Füße auf dem Boden spürt.

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Klein, aber perfekt: Die Mini-Skulptur „Young couple“. Das Mädchen und die Frau der Skulptur „Woman with shopping“ sind die einzigen mit echten Haaren, bei den anderen Skulpturen wurde feiner Draht verwendet

 

Das ist nur ein Beispiel dafür, dass bei Ron Mueck jeder Millimeter stimmt, wenn es um die ins Riesenformat oder ins Kleinformat übersetzten Dimensionen seiner Skulpturen geht, deshalb fühlt man sich durch seine Kunst auch nicht getäuscht, sondern eher überrascht, und man ist geneigt, seine eigene Sicherheit über den jedem „zustehenden“ Platz in Raum und Zeit zu überdenken.

Der Film im Auditorium der Fundación Proa stammt aus dem Jahr 2013 und zeigt den Entstehensprozess einiger der Figuren in der Ausstellung – deshalb ist es interessant, auch nachher, mit dem neuen „Wissen“, noch einmal kurz durch die Ausstellungsräume zu gehen. Der Film ist in vielfacher Hinsicht faszinierend, nicht nur, weil man diesem wortkargen, konzentrierten, obsessiven Künstler und seinen Assistenten bei der Arbeit zusehen kann, sondern auch, weil sie in der relativ kleinen Werkstatt von äußerst realistisch aussehenden Körperteilen – Mini-Babyköpfen und -händchen, riesigen Oberkörpern etc. – umgeben sind, was dem Ganzen den Anstrich einer Art Horrorkabinett gibt. Erklärende Worte würden da nur stören, deshalb ist der Film von Gautier Deblonde ein kleines Meisterwerk in sich.

Der 1958 als Kind deutscher Einwanderer in Melbourne geborene Künstler Ron Mueck, der seit 1983 in London lebt, sagte 2003 dem „Kunstmagazin“: „Ich wollte etwas machen, dem ein Foto nicht gerecht werden würde. […] Obwohl ich viel Zeit mit der Oberfläche verbringe, ist es doch das Innenleben, das ich einfangen möchte. […] Meine Arbeiten sind mein Statement.“

Die Ausstellung wurde von der Fondation Cartier in Paris organisiert und letztes Jahr auch in der französischen Hauptstadt gezeigt. Kuratiert vom Direktor der Fondation Cartier, Hervé Chandès, sowie Grazia Quaroni, wandert die Schau nach ihrem Stopp in Buenos Aires weiter nach Brasilien ins „Museo de Arte Moderno“ von Rio de Janeiro, wo sie von März bis Juni 2014 zu sehen sein wird.

(Ron Mueck, Skulpturen. Fundación Proa, Pedro de Mendoza 1929, La Boca, Buenos Aires. Geöffnet dienstags bis sonntags 11-19 Uhr, montags geschlossen. Eintritt 15 Pesos, Rentner 10 Pesos, Studenten 5 Pesos; dienstags gratis für Studenten. Bis 23.2.)

Der Film „Still Life: Ron Mueck at work“ von Gautier Deblonde

Der Fotograf und Filmemacher Gautier Deblonde hat über 18 Monate hinweg jeden Tag Ron Mueck bei der Arbeit in seiner Werkstatt gefilmt, während Mueck für die Ausstellung in der Fondation Cartier in Paris die drei Werke „Young couple“, „Couple under umbrella“ und „Woman with shopping“ schuf. Schweigsam arbeitet Mueck mit zwei, manchmal drei Assistenten, mit unendlicher Geduld und Konzentration entwickelt er jedes Stadium bis zur Vollendung seiner Skulpturen. „Es ist eigentlich ein Film über die Zeit“, sagt Deblonde. „Über die Zeit und darüber, wie sehr Ron Mueck in seine Arbeit verwickelt ist.“ Der Film dauert 48 Minuten und wird in Endlosschleife gezeigt.

 

Beitrags-Titelbild: Ron Mueck (ganz links) mit einem Assistenten beim Aufbau von „Couple under umbrella“. Die Skulpturen sind innen hohl und wurden in Einzelteilen nach Buenos Aires transportiert. Beide Bilder lagen der Presseunterlagen zur Veröffentlichung bei.