Von Alexander-Ivo Franz
Der Fund eines historischen „Heftchens“ löste diese Recherche aus: es geht um die Kulturschaffenden, die nach Kriegsende ihre Freiheit zurück erkämpften. Wie dort zu lesen ist, war dies nicht einfach und hatte in vieler Hinsicht Vorbildcharakter.
Der Kulturbund im Jahr 2023
Der Kulturbund Berlin ist ein Verein, der sich der Förderung und Verbreitung von Kultur und Kunst in Berlin widmet. Er wurde im Jahr 1945 gegründet und ist heute einer der größten Kulturvereine Deutschlands. Der Kulturbund Berlin bietet ein breites Spektrum an kulturellen Aktivitäten und Veranstaltungen, darunter Konzerte, Ausstellungen, Lesungen, Theateraufführungen und Filmvorführungen.
Der Kulturbund Berlin hat eine lange Tradition und wurde ursprünglich von Künstlern und Kulturschaffenden gegründet, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs einen Beitrag zur kulturellen Wiederbelebung Berlins leisten wollten. Der Verein spielte eine wichtige Rolle bei der Unterstützung von Künstlern und Schriftstellern, die in der DDR nicht immer willkommen waren.
Nach der Wiedervereinigung Deutschlands verlor der Kulturbund Berlin zunächst an Bedeutung, hat aber in den letzten Jahren wieder an Stärke gewonnen. Der Verein betreibt heute mehrere Kulturzentren in Berlin, darunter das Kulturhaus Karlshorst, das Kulturhaus Spandau und das Kulturhaus Mitte. Dort finden regelmäßig Ausstellungen, Konzerte, Theateraufführungen und andere kulturelle Veranstaltungen statt.
Der Kulturbund Berlin ist auch als Verlag tätig und veröffentlicht Bücher, Zeitschriften und andere Publikationen zu verschiedenen kulturellen Themen. Der Verein hat sich zum Ziel gesetzt, die kulturelle Vielfalt Berlins zu fördern und zu erhalten und einen Beitrag zur internationalen Verständigung und zum interkulturellen Dialog zu leisten.
Der verbotene Kulturbund um 1945
An der historischen Stätte seiner Gründungskundgebung vom
4. Juli 1945 hatte der Kulturbund zur demokratischen Erneuerung
Deutschlands die geistigen Menschen Berlins zu einer Kundgebung zusammengerufen, in der zu dem Verbot im amerikanischen und im britischen Sektor von Berlin Stellung genommen werden sollte.
Alle Säle des Berner Funkhauses waren vor Beginn überfüllt, auf den Treppen stauten sich die Menschen; viele Hunderte mussten umkehren, weil sie keinen Platz finden konnten. Berlins Kulturträger gaben Antwort auf den Versuch der antidemokratischen Unterdrückung ihrer freiheitlichen Organisation. Die Versammelten richteten an den Alliierten Kontrollrat und an die Londoner Außenministerkonferenz den Wunsch, das Verbot des Kulturbundes aufzuheben.
Diese große Kundgebung der Berliner Kulturträger war ein Ausdruck ihres demokratischen Verantwortungsbewusstseins und ihrer aktiven Haltung für die eigene Sache der demokratischen Kultur und für die Demokratisierung Deutschlands. Die Berliner Kulturträger bezeugten durch die Tat, daß sie nicht schweigend die Errichtung neuer Scheiterhaufen für den fortschrittlichen Geist, nicht schweigend die Unterdrückung ihrer demokratischen Organisationen erdulden wollen. Johannes R. Bechers Ruf, der Unterdrückung in ihrem Beginn zu widerstehen: „principiis obsta!*, drückte die tiefe Bedeutung dieser Kundgebung in dem Ringen unseres Volkes um seine demokratische Erneuerung aus.
In diesen entscheidungsschweren Wochen, in denen in London über Deutschlands Zukunft entschieden werden soll, war diese Kundgebung deutscher geistiger Menschen aller Weltanschauungen zugleich das Bekenntnis zur kulturellen und nationalen Einheit eines demokratischen, friedfertigen Deutschlands.
Der Verlauf der Kundgebung
PROFESSOR DR. HEINRICH DEITERS
Im Namen des Präsidialrates und der Landesleitung Berlin des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands erlaube ich mir, die heutige Kundgebung zu eröffnen. Sie findet in demselben Saale statt, in dem der Kulturbund im Juli 1945 zum ersten Male vor die Öffentlichkeit getreten ist. Wir danken Ihnen aufs herzlichste für Ihr Erscheinen. Insbesondere begrüße ich die Vertreter der Besatzungsmächte, unter ihnen die Vertreter der Sowjetischen Militäradministration.
Unsere heutige Kundgebung steht unter dem Satz:
Freiheit dem Kulturbund!
Ich erteile das Wort zuerst unserem Freunde, Herrn Professor Bennedik.
PROFESSOR BERNHARD BENNEDIK
Vor fast 2½ Jahren hatte ich die Ehre, die erste öffentliche Kundgebung des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands in diesem gleichen Saal im Namen und im Auftrage des Bundesvorstandes zu eröffnen. Wir standen damals unter dem unmittelbaren Eindruck des Zusammenbruches, der totalen Katastrophe, des totalen Endes, des totalen Verbrechens, das totalen Zusammenbruch bedeutete. Wir hatten uns zusammengefunden in dem Gedanken, dass ebenso notwendig wie das Aufräumen der Straßen und Städte auch das Aufräumen der Geister war. Wir waren uns darüber klar, dass nur auf der Grundlage einer geistigen Kulturerneuerung die Möglichkeit bestand, das deutsche Volk in eine wahrhafte Demokratie hin. einzuführen. Wir waren uns ebenfalls darüber klar, dass dies nicht etwa eine Angelegenheit von Wilmersdorf oder Tempelhof sein konnte, sondern dass es eine Angelegenheit Deutschlands war. Und so war alles, was wir taten, darauf gerichtet, dass eine deutsche Entwicklung entstehen müsse, eine geistige und kulturelle Entwicklung des Aufbaues. Heute, nach 2½ Jahren, spreche ich vielleicht wieder zu den gleichen Teilnehmern der damaligen öffentlichen Kundgebung des Kulturbundes. Eine Berliner Tageszeitung hat geglaubt, uns ein schlechtes Gewissen vorwerfen zu müssen. Die Redakteure und die Mitarbeiter dieser Tageszeitung mögen vieles, wenn nicht alles besser wissen als wir. Aber unser Gewissen, das kennen wir besser. Unser Gewissen ist rein. Es wäre für uns das beste Ruhekissen, wenn wir gesonnen wären, uns schlafen zu legen. Wir haben nicht die Absicht, es zu tun. Ganz im Gegenteil! Gerade die Vorgänge der letzten Zeit zeigen, dass wir noch wacher sein müssen als vorher. Wenn ich hier auch mit etwas schmerzlichen Gefühlen sprechen muss, so spreche ich doch mit derselben Zuversicht und demselben Vertrauen wie vor 2½ Jahren. Wir sind verboten worden anscheinend wegen formaljuristischer Gründe. Wir dürfen daran keine Kritik üben, wir wollen daran keine Kritik üben. Aber es ist nicht vorstellbar, dass hier formale Gründe die Triebfeder sein sollten. Um dies zu verstehen, brauchen wir nur auf das zu sehen, was hier in 2½ Jahren geschehen ist.
Wir sind uns darüber klar gewesen, dass ein solcher geistiger Neuaufbau nur geschehen konnte auf der Grundlage: frei und unabhängig von jeder Parteipolitik. Nichts erscheint uns wichtiger, als auf der Basis des kulturellen Lebens sich ganz bewusst freizuhalten von jeder parteipolitischen Bindung. Wir können mit gutem und mit reinem Gewissen sagen: das haben wir durchgesetzt. Wir können das im Gegensatz zu unseren Gegnern mit unzähligen Fällen unwiderleglich beweisen. Den Beweis des Gegenteils ist man uns bis auf den heutigen Tag schuldig geblieben. Ich glaube, man hat nicht einmal den Versuch gemacht, einen solchen Beweis zu führen.
Wir haben in diesen 2½ Jahren eine außerordentliche Resonanz gefunden, wir haben sie in der Sowjetunion gefunden, in Amerika. Wir haben sogar eine besondere Resonanz in England gefunden. Und darum ist uns das Vorgehen der britischen Militärregierung besonders schmerzlich, weil wir gerade von der britischen Militärregierung nicht vermuten konnten, dass sie unserer Arbeit ein Hindernis in den Weg legen würde. Um die Schwere dieser Frage zu verstehen, muss man sich ganz kurz unser Programm vorstellen:
Zum ersten – Menschlichkeit, die nicht zuerst einen Anspruch stellt, sondern Menschlichkeit, die bereit ist, jedem anderen, welcher Rasse, welcher Farbe, welchen Glaubens und welcher Klasse er auch sei, menschlich gegenüberzutreten. Daraus glauben wir den Anspruch erheben zu können, dass man auch uns gegenüber menschlich ist.
Zweitens Freiheit! Nicht die zügellose Freiheit, sondern Freiheit, die ihre Beschränkung da erkennt, wo sie die Freiheit des anderen zu achten und zu respektieren hat.
Das Dritte aber ist das größte. Ohne dieses Dritte gibt es weder Menschlichkeit noch Freiheit. Das Dritte ist der Frieden!
Und auch Frieden für uns können wir nur dann beanspruchen, wenn wir die Bereitschaft zum Frieden nicht nur durch Worte, sondern auch durch Taten erkennen lassen. Es ist vielleicht nichts notwendiger, als dass Deutschland, das deutsche Volk, eine Garantie schaffe, im Gegensatz zu der Vergangenheit ein Volk des Friedens, ein Volk mit der Welt und in der Welt zu werden. Und darum stelle ich an den Anfang dieser Veranstaltung die Frage: Warum wird eine Organisation, deren Ziel und deren Programm in den drei Begriffen: Menschlichkeit, Freiheit, Frieden ganz klar umrissen ist, verboten? Warum hindert man uns in unserer Arbeit? Ich frage nur: Warum?
JOHANNES R. BECHER
Das Verbot des Kulturbundes im amerikanischen und britischen Sektor Berlins zeigt, in einem verhältnismäßig kleinen Ausschnitt, das ganze große Elend unseres Volkes.
Das ganze große Elend unseres Volkes besteht nicht darin, dass wir eine vernichtende Niederlage erlitten haben auch aus der tiefsten Niederlage kann ein Volk Gewinn ziehen, wenn es aus dem Vergangenen lernt; unser großes Elend besteht auch nicht so sehr darin, dass wir ein besetztes und in Zonen aufgeteiltes Land sind – dieser Tatsache könnten wir in würdiger
Weise Rechnung tragen, ohne dabei zu vergessen, dass wir Deutsche sind und ohne den Gedanken an ein einheitliches Deutschland preiszugeben; die Größe unseres deutschen Elends besteht darin, dass die schlimmsten Feinde der Deutschen nach wie vor wir Deutschen selber sind, und dass auf uns heute noch, nach mehr als hundert Jahren, zutrifft, was Napoleon 1814 über die Deutschen gesagt hat: „Zwietracht brauchte ich unter ihnen nicht zu stiften, denn die Einigkeit war längst von ihnen gewichen. Untereinander haben sie sich erwürgt und glaubten dabei ihre Pflicht zu tun.“
So wurde auch das Verbot des Kulturbundes durch Denunziationen und eine gewissenlose Pressehetze von deutscher Seite angeregt und betrieben.
Wir haben uns bei der Entgegnung auf solche Diffamierungsversuche, soweit sie uns aus der Presse bekannt wurden, stets an einen sachlichen, an einen anständigen menschlichen Ton gehalten, in der Hoffnung, dass es uns gelingen würde, die-jenigen, die guten Willens, sind, durch Leistungen von unserem aufrichtigen Bemühen zu überzeugen, den Gedanken einer demokratischen Erneuerung Deutschlands in einer Bewegung zu erfassen, die allen Deutschen, die ernsthaft um eine Wiederauferstehung ihres Volkes ringen, zugänglich ist, und bei der die Frage nach der Parteizugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit keinerlei Rolle spielt. Denn in allen Parteien und vor allem auch unter den Parteilosen gibt es Menschen, die aus der Vergangenheit gelernt haben, und solche, die nichts gelernt haben oder die das wenige, was sie vielleicht gelernt haben, wieder gründlich zu verlernen im Begriffe sind. In allen Parteien und vor allem auch unter den Parteilosen gibt es Menschen, die geistig und menschlich zusammengehören und deren Zusammengehörigkeit und Zusammenarbeit für die Gegenwart und Zukunft unseres Volkes unerlässlich sind. Dass neben den Parteien und ohne mit ihnen in Konkurrenz zu treten auch überparteiliche Organisationen eine deutsche Lebensnotwendigkeit sind, besonders auf kulturellem Gebiet, das hat schon kurz nach seiner Gründung der Erfolg des Kulturbundes erwiesen, der in seiner Mitgliederzahl von 120 000 nur äußerlich zum Ausdruck kommt.
Wir hätten nun allerdings erwartet, dass man uns Gelegenheit geben würde, zu den gegen uns erhobenen Angriffen, wie sie aus der Presse nicht bekannt wurden, Stellung zu nehmen, nach dem Rechtsprinzip „audiatur et altera pars“
– „auch der andere Teil muss gehört werden“. Nach diesem allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz steht bekanntlich auch dem Verbrecher das Recht zu, unter Heranziehung eines Anwalts Einsicht zu nehmen in das Aktenmaterial und in einer öffentlichen Gerichtsverhandlung unter Benennung von Entlastungszeugen auf die gegen ihn vorgebrachten Beschuldigungen zu erwidern, Auch Naziorganisationen wurde in Nürnberg das Recht der Verteidigung zugestanden, bevor sie zu Verbrecherorganisationen erklärt wurden. Nun, wir wurden eines anderen belehrt.
Jeder Versuch, gehört zu werden, und alle unsere unentwegten Bemühungen, um Verständnis zu werben für unsere Arbeit, wurden anmaßend und beleidigend zurückgewiesen, wenn sie überhaupt beachtet oder beantwortet wurden. Das Recht eines Verbrechers und einer Verbrecherorganisation wurde uns, einer freiheitlichen deutschen Kulturorganisation, abgesprochen, und wir wurden, ohne angehört zu werden, und ohne gewissenhafte Nachprüfung der Tatsachen, in einem abgekürzten Geheimverfahren verurteilt.
Es kann unter uns keine Meinungsverschiedenheit darüber geben, dass die Freiheit der Persönlichkeit unter allen Umständen gewahrt werden muss, und dass es unerträglich ist, Menschen, welcher Verbrechen man sie auch bezichtigen mag, spurlos verschwinden zu lassen. Das möge eine eindeutige Antwort sein an alle diejenigen, die uns unterstellen, wir billigten kritiklos gewisse unhaltbare Missstände und nähmen in der Frage der Freiheit der Persönlichkeit nicht eine eindeutige Haltung ein.
Aber ebenso wenig kann es meiner Ansicht nach unter freiheitlich gesinnten Menschen eine Meinungsverschiedenheit darüber geben, dass es unzulässig ist und jeder menschlichen Ordnung und Rechtssicherheit widerspricht, eine Gemeinschaft von Menschen, noch dazu eine solche wie den Kulturbund, die eine demokratische Erneuerung anstrebt, zu verbieten und zum Verschwinden zu bringen.
Wenn dagegen eingewendet wird, der Kulturbund habe sich das Verbot selbst zuzuschreiben, weil er den Aufforderungen der Besatzungsmächte, seine Genehmigung erneut einzureichen, nicht nachgekommen sei, so ist darauf zu erwidern: Bei der Auslegung des betreffenden Befehls handelt es sich zum mindesten um eine strittige Frage, und bei einem Minimum an gutem Willen und Verständnisbereitschaft seitens der amerikanischen Behörden hätte man diesen Befehl gewiss nicht herangezogen, der, was genau vorauszuberechnen war, einen Konflikt zwischen den Besatzungsmächten herausfordern musste, den befriedigend zu lösen schon nicht mehr in unserer Macht lag. Wir haben dessen ungeachtet nach Ausbruch des Konflikts uns an die Interalliierte Kommandatura gewandt mit der Bitte um eine einheitliche Behandlung unserer Frage. Da in der letzten Sitzung der Interalliierten Kommandatura von gestern keine Einigung erzielt werden konnte, ist unser Ersuchen an den Kontrollrat weitergeleitet worden. Ein Sonderantrag an nur eine Besatzungsmacht, beziehungsweise jede Sondergenehmigung seitens nur einer Besatzungsmacht hätte die sektorenweise Aufsplitterung des Kulturbundes in wirkungslose separatistische Kulturbundgruppen bedeutet. Einer solchen
Kolonialpraxis aber konnten wir unsere Zustimmung nicht geben. Bei einem Minimum an gutem Willen und Verständnisbereitschaft seitens der amerikanischen Dienststellen hätte sich zweifellos eine Regelung finden lassen, die uns die Weiterarbeit ermöglichte, da man ja sonst nicht gerade bürokratisch und kleinlich ist und eine weitherzige Toleranz und eine solche Großzügigkeit beweist, wenn es sich um Persönlichkeiten und Organisationen handelt, die alles andere sind als fortschrittlich und demokratisch.
Darum erscheint die rigorose Handhabung des Befehls uns gegenüber nur als Vorwand, um den Kulturbund im amerikanischen Sektor vor allem zum Verschwinden zu bringen. Während die amerikanischen Dienststellen von vornherein eine verständnislose, wenn nicht feindselige Haltung gegenüber dem Kulturbund und seinen Bestrebungen einer demokratischen Erneuerung Deutschlands eingenommen haben, hat die britische Militärregierung Entgegenkommen gezeigt und vor allem hat die englische Öffentlichkeit als erste Stimme aus dem Ausland in einem Manifest von über 300 hervorragenden Persönlichkeiten die Gründung des Kulturbundes begrüßt. Aufrichtig bedauern wir darum, dass die englischen Behörden dem amerikanischen Verbot gefolgt sind. Wir sind uns aber auch dessen gewiss, dass die amerikanische Öffentlichkeit in ihren besten Vertretern das Vorgehen amerikanischer Dienststellen gegen uns nicht billigen wird, denn ein Volk von der großen freiheitlichen Tradition eines Abraham Lincoln, eines Thomas Paine, eines Whitman und Roosevelt kann sich unmöglich einverstanden erklären damit, dass in Deutschland wieder Scheiterhaufen errichtet werden. Wir möchten an dieser Stelle nicht versäumen, der französischen Militärregierung zu danken, dass sie in Wahrung der großen freiheitlichen und kulturellen Tradition ihres Volkes dem amerikanischen Verfahren nicht gefolgt ist.
Unsere demokratischen Freiheiten, wie wir sie heute besitzen, sind wahrlich kümmerlich genug, dass man es schon als selbstmörderisch bezeichnen muss, wenn in einer deutschen Presse, die sich zudem noch eine unabhängige nennt, nach all den ungeheuerlichen Verlusten, die wir geistig und materiell erlitten haben, wenn angesichts des unsagbaren Leidens unseres Volkes deutsche Presseorgane auch noch die Demontage kultureller Einrichtungen rechtfertigen und befürworten, statt dass sie mit uns gemeinsam um jedes Stückchen demokratischen Bodens kämpfen, das von anständigen deutschen Menschen in mühevoller Arbeit und unter schweren persönlichen Opfern dem Zusammenbruch und dem Nihilismus abgerungen wurde. Schweigen Sie künftighin von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wenn Sie es für vertretbar und für menschlich halten, dass eine freiheitliche Kultureinrichtung
mittels einer Paragraphenschlinge erwürgt wird.
Gerade das, was uns vorgeworfen wird, dass wir es nicht seien, nämlich überparteilich, gerade diese Überparteilichkeit des Kulturbundes ist es, die gewissen Leuten heute unerwünscht und gefährlich erscheint. Wer den kalten Krieg der ausgezogenen Glacéhandschuhe propagiert, wer, nach berüchtigtem Muster, zu einem antikommunistischen Kreuzzug aufruft und wer den Antibolschewismus noch über den Wahnwitz dessen hinaustreibt, worin sich Hitler und Goebbels ausgetobt haben, für den muss allerdings eine Organisation ein Ärgernis sein, die sich nicht nach dieser Richtung hin ausrichten und gleichschalten läßt, sondern die bestrebt ist, sowohl den kalten Krieg als auch damit im Zusammenhang einen deutschen Bruderkrieg um jeden Preis zu vermeiden und alles daransetzt, ausgleichend und versöhnend zu wirken. Gerade diese Überparteilichkeit des Kulturbundes ist es, die durch das Verbot getroffen werden soll.
Meine ehrenwerten Herren Gegner! An Sie, die Sie uns Einseitigkeit und Parteilichkeit vorwerfen, richte ich die Frage:
Warum wurde von den betreffenden Besatzungsmächten der Kulturbund nicht in allen Zonen Deutschlands zugelassen und gefördert? Alsdann hätte zweifellos die Bundeskonferenz ein repräsentatives Gepräge für ganz Deutschland erhalten, und wir, die wir den Kulturbund gründeten, hätten nichts so sehr begrüßt, als wenn eine solche Leitung dann zum Ausdruck der kulturellen Erneuerung ganz Deutschlands geworden wäre.
Oder stand vielleicht zu befürchten, dass solch eine einheitliche deutsche Kulturbewegung ein zu starker Faktor werden würde in dem Streben nach der Einheit Deutschlands und wurde deshalb von Beginn an die Zulassung des Kulturbundes in ganz Deutschland von den Projektemachern einer Aufteilung
Deutschlands verhindert?
So ist es. Eine Organisation wie der Kulturbund, der mit den großen Nationen und allen Völkern der Welt gleichmäßig eine deutsche Verständigung herbeiwünscht, solch eine überparteiliche Haltung ist für die Parteigänger des kalten Krieges und eines deutschen Bruderkrieges untragbar. Das ist der wahre politische Hintergrund, das ist wenn man so sagen darf der geschichtliche Sinn des Verbotes des Kulturbundes: seiner Überparteilichkeit wegen, aus keinem anderen Grunde soll der Kulturbund vor allem im amerikanischen Sektor zum Verschwinden gebracht werden.
Der Kulturbund wird innerlich und äußerlich gestärkt dieses Verbot überstehen. Unsere Gegner werden an diesem Verbot, das versichere ich Ihnen, keine Freude haben. Jeder freiheitlich gesinnte Mensch kann auf dieses Verbot nur mit Abscheu und Protest reagieren, und wir werden nichts unterlassen, um uns an alle freiheitlichen Organisationen der Welt zu wenden, und wir werden auch die Außenministerkonferenz in London mit unserem Verbot als mit einer jede Demokratie beschämenden Tatsache bekannt machen. Wir sind aus den Erfahrungen der vergangenen Jahre heraus unter keinen Umständen mehr gewillt, das Verbot einer demokratischen Organisation ohne Widerspruch hinzunehmen. Wir wollen uns späterhin nicht wieder den Vorwurf machen, dass ein, „principiis obsta!“ notwendig gewesen wäre dass wir der Unterdrückung in ihrem Beginn hätten widerstehen müssen.
Es ist mehr als bedauerlich, und vor allem die deutsche Jugend wird es mit Recht nicht verstehen und es vielleicht als einen nationalen Skandal betrachten, wenn es uns Deutschen nicht gelungen ist, anlässlich der Londoner Konferenz in der oder jener Form eine Art gesamtdeutscher Vertretung zu schaffen, um in der wichtigsten Lebensfrage unseres Volkes, in der Frage der Einheit Deutschlands, den einheitlichen Willen der deutschen Nation, die wir ja immer noch sind, der Außenminister-konferenz und der Weltöffentlichkeit gegenüber zum Ausdruck zu bringen. Das Verbot des Kulturbundes am Vorabend der Londoner Konferenz hat neben vielem anderen gezeigt, wer die Einheit Deutschlands wirklich will und wer nur vortäuscht, sie zu wollen. Denn wie können Leute eine kulturelle, geschweige denn eine wirtschaftliche und politische Einheit Deutschlands ernsthaft wollen, wenn ihnen schon eine einheitliche Kulturorganisation in Berlin als Ärgernis erscheint, wozu wir noch bemerken möchten, dass wir niemals einen Totalitätsanspruch erhoben oder eine Monopolstellung angestrebt haben, also nie etwas dagegen einzuwenden gehabt hätten, wenn andersartige Kulturorganisationen entstehen. Aber sie sollen frei entstehen, nicht auf unsere Kosten, nicht auf Grund eines Verbots.
Wir geloben, all das Unsere zu tun, dem Kulturbund zu einem neuen Wachstum zu verhelfen und ihm seinen überparteilichen Charakter zu erhalten unter allen Umständen. Wir werden auch weiterhin unentwegt bemüht sein, um Verständnis zu werben für unsere Arbeit, und wir möchten sogar hoffen, dass ein offenes aufrichtiges Wort, so wie wir es hier gesprochen haben, am besten dazu beitragen kann, eine Atmosphäre, des Unverständnisses und des Misstrauens zu bereinigen. Den Mitgliedern rufe ich erneut zu: Die höchste demokratische Pflicht besteht darin, von seinen demokratischen Rechten ausgiebigen Gebrauch zu machen. Sie haben alle Möglichkeiten, den Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands selber demokratisch zu erneuern, wenn die Leitung ihre Aufgaben nicht erfüllt und erneuerungsbedürftig ist.
Wenn andere in ihrer Borniertheit und Bösartigkeit bestrebt sind, die Größe unseres deutschen Elends zusätzlich noch zu vergrößern dadurch, dass sie eine freiheitliche Bewegung wie den Kulturbund bei den Besatzungsmächten denunzieren, um aus seinem Verbot einen Nutzen zu ziehen, so werden wir mit allen Kräften bemüht sein, die Größe des deutschen Elends herabzumindern und an der Schaffung erträglicher Verhältnisse mitzuwirken, wozu sowohl die Wahrung der Freiheit der Persönlichkeit als auch das Recht auf die freie Betätigung freiheitlicher Organisationen gehören. Denn nur auf der Grundlage der Freiheit der Persönlichkeit und der freien Betätigung freiheitlicher Organisationen kann ein freiheitliches Deutschland entstehen.
Eines freiheitlichen und geeinten Deutschlands wegen wenden wir uns gegen das Verbot des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands im amerikanischen und britischen Sektor von Berlin.
GRETA KUCKHOFF
Ich habe nicht die Ehre, zum Kreis der Männer und Frauen zu gehören, die den Kulturbund gegründet oder vom Beginn an seine Ziele zu den ihren gemacht haben. Ja, erlauben Sie mir, das offene Geständnis abzulegen, dass ich ihm mit Skepsis gegenüberstand. Einmal, weil es mir nach diesem schrecklichen Zusammenbruch mit Hunger und Kältebedrohung, mit Seuchen-und Todesgefahr notwendig schien, alle, aber auch alle Kräfte bis aufs letzte anzuspannen, um der materiellen Schwierigkeiten Herr zu werden, damit aus einer zwar kargen, aber nicht mehr lebensbedrohenden Neuordnung, auf gesicherter Grundlage ruhend, die Blüte der Kultur wieder erwachsen könne. Gewiss konnten Bäche der Kraft für diese Arbeit mit der Wünschelrute des Geistes erschlossen werden. Aber – verzeihen Sie mir mein Misstrauen – haben die Träger unserer Kultur bewiesen, dass sie in den Jahren, wo der Geist zu letzter Bewährung aufgerufen wurde, willens waren und die Kraft hatten, zu verhüten, dass die Kultur nicht täglich von neuem geschändet wurde, um schließlich alles zu zerstören, was in jahrhundertelangem Mühen an Fortschrittlichem in der Menschheitsgeschichte geschaffen worden war? Selbst wenn man wohlwollend alle Schwierigkeiten in Rechnung stellte, wie klein war die Zahl derer, die erkannten: Selbst wenn es uns gelingt, unter dem Nationalsozialismus ein schönes und poetisches Werk zu schaffen – – es ist keine Arche gegen die Sintflut der Zerstörung, die die Kultur der Welt, ja ihre einfache Existenz bedroht. Wie schwer haben es die wirklich Aufrechten und zum Einsatz ihres Schaffens und Lebens Bereiten gehabt, auch nur für geistige Besinnung zu werben, und wieviel schwerer noch, die Wenigen aufzuspüren, die bereit waren, die warnenden und aufklärenden Worte in ihren Kopf, in ihr Herz aufzunehmen und sich zu befreiender Tat bewegen zu lassen. Und nun sollte, nachdem sie die besten Jahre fruchtbaren Schaffens, ja ihr Leben ohne einen entscheidenden Erfolg hingegeben hatten, die geistige Erneuerung durch Kulturarbeit am Anfang stehen? War es nicht vermessen, zu glauben, dass ein Volk, das den Nationalsozialismus nicht bezwungen hatte, vielmehr von ihm bezwungen worden war, von hier aus reformiert werden konnte?
Allerdings hatte der Kulturbund seine Zielsetzung deutlich und klar mit in seinen Namen aufgenommen: „Zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“. Aber war die politische Zielsetzung, die Reinigung und Klärung der geistigen Einstellung den Problemen der demokratischen Umgestaltung unseres gesellschaftlichen Lebens gegenüber nicht Aufgabe der Parteien? Sie alle, die 1945 wieder- oder neu gegründet wurden, hatten sich entschieden gegen den Faschismus und seine Wurzeln und für die Demokratie bekannt! Brauchte es also eine überparteiliche Organisation, um die nötige politische Umerziehung durchzuführen?
Ja, hier stand eines der Kernprobleme unserer deutschen Entwicklung überhaupt zur Entscheidung: die überparteiliche Organisation mit klarem politischem Ziel. Gestatten Sie, das ich an diesem Punkt noch einmal auf die Zeit vorher zurück. komme, weil die Erfahrungen, die wir in der Widerstandsarbeit gemacht hatten, unser Urteil beeinflussten und wir erst langsam und mit vielen Schmerzen lernen mussten, dass nicht alle dort gewachsenen Hoffnungen sich nun verwirklichten.
Wir kannten überparteiliche Arbeit! In unserem Kreis z. B. haben in enger Kameradschaft Männer und Frauen der verschiedenen Weltanschauungen jahrelang zusammengearbeitet:
Katholische und protestantische Studenten, Sozialdemokraten, wie der Kultusminister Adolf Grimme, parteilich nicht gebundene Humanisten und Pazifisten und ausgesprochene Marxisten, wie Dr. Harnack und Walter Husemann, um nur einige Namen zu nennen. Man hat freimütig über die Unterschiede in den letzten Zielen und den Wegen dahin gesprochen, nichts verwischt, ehrlich um die Grundlinie diskutiert, ohne dass deshalb die gemeinsame Arbeit auch nur einen Tag lang in Frage gestellt wurde. Ich nehme an, dass ich nicht die einzige war, die den Glauben mitbrachte, der Berg von Schwierigkeiten könne nur in Zusammenarbeit mit allen, die den Segen dieser Einträchtigkeit selbst erfahren hatten, überwunden werden.
Musste ich nicht in diesem Glauben bestärkt werden, z. B. durch die Tatsache, dass meine erste öffentliche Ansprache überhaupt im Juli oder August 1945 gemeinsam mit Frau Louise Schroeder stattfinden konnte und ohne dass eine von uns den Standpunkt zu verhüllen brauchte, von dem aus sie Ziel und Richtung sah?
Die Betonung der Überparteilichkeit statt der Gemeinschaftsarbeit der Parteien schien mir wie eine Kritik an der bewiesenen Bereitschaft aller meiner Freunde, auf fester demokratischer Basis für die durch strenge Arbeit und gewissenhafte Prüfung als richtig erkannten Grundsätze, die sich in einer Partei verkörperten, zu wirken.
Aber diese demokratische Basis fehlte. So haben die Ereignisse nicht mir, sondern dem Kulturbund recht gegeben.
Es erwies sich als notwendig, die müden, resignierten und die vertrotzten und enttäuschten Menschen breitester Schichten, gleichgültig, ob sie sich schon an eine Partei angeschlossen hatten, die ihren politischen Zielen entsprach, oder ob sie den Weg dahin scheuten, zu der freiwilligen Erkenntnis demokratischer Grundsätze und zur Mitarbeit zu gewinnen. Ich glaube, dass niemand, der die Entwicklung in Deutschland und der Welt mit klarem Blick verfolgt hat, die Notwendigkeit einer solchen Organisation zur Erneuerung oder besser noch zur Schaffung der demokratischen Basis unseres gesellschaftlichen Lebens leugnen kann. Eine Demokratie aufbauen heißt: Menschen zu selbständiger Urteilsbildung bringen, damit sie die Fragen, die vor allen Bürgern nun zur Entscheidung stehen, nicht auf Grund von Phrasen und Propagandalosungen, sondern durch ihr Wissen um die Zusammenhänge und Folgen lösen.
Jeder also, dem es wahrhaftig ernst ist, diese Vorbedingung zu schaffen, die unerlässlich ist für eine Demokratie und ohne die das Wort Demokratie auch nur eine gefährliche Phrase bliebe, musste und muss den Kulturbund bejahen. Wieweit wir noch von unserer geistigen Mündigkeit entfernt sind, zeigt nichts so klar wie die Tatsache, dass sich einzelne Kreise und deren Presseorgane offen darüber freuten, dass der Kulturbund „aus formalen Gründen“ seine Wirksamkeit in zwei Sektoren Berlins aufgeben musste, dass sie bemüht sind, Konkurrenzunternehmen aufzuziehen. Der Kulturbund müsste, bestünde er nicht, heute gegründet werden, damit diese Schulung zu demokratischem Denken – die hier lehrend und lernend erworben werden kann, allen Parteien nützt. Niemand, der aufrichtig von der Richtigkeit der Politik seiner Partei überzeugt ist, kann die hier offen vor aller Augen geleistete Klärungsarbeit fürchten, weil jede Partei, die eine Wiederholung der grauenhaften Geschehnisse unmöglich machen will, Interesse daran haben muss, nicht Mitläufer, sondern bewusste Mitglieder in ihren Reihen zu haben, die aus Einsicht und Wissen, mit voller Verantwortung für ihr Tun, gerade diese Partei wählten.
Freuen kann sich nur, wer noch immer glaubt, auf dem billigen Weg zum Ziel zu kommen: durch Propagandafeldzüge und Meinungsfang, statt durch Klärung der Begriffe, Erziehung zu selbständigem Denken und Überzeugungskraft. Wenn uns die bitteren Erfahrungen – fast möchte ich sagen, die bittersten liegen in den letzten zwei Jahren – das nicht gelehrt haben, werden wir aus dem Elend, in dem wir uns materiell und seelisch befinden, nicht herauskommen. Nicht der Kulturbund steht in einer Krise – unser Volk steht noch immer in der tiefsten Krise seiner Geschichte, in der der Kulturbund ihm zu einer Überwindung helfen möchte. Gerade wer selbst festen Grund unter den Füßen fühlt, ist voller Vertrauen, dass die ernsthaft Suchenden ihn ebenfalls finden werden. Es lohnt sich, unermüdlich weiter zu schaffen, denn es geht um die Zukunft unseres Volkes, das wir in allem Elend lieben, und für das wir nur einen stolzen Wunsch haben, dass es auf dem Weg zu Fortschritt und Frieden lernen möge, ohne Rückfall sicheren Schritts zu gehen. Ihm dabei zu helfen, das bleibt die Aufgabe des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands, bis unser ganzes Land wie ein Bund sein wird, in dem Kultur geschaffen und gelebt wird, einfach aus der Fülle und ohne jegliche program-matische Erklärung, weil es sich dann von selbst versteht.
GENERALSUPERINTENDENT DR. Friedrich Wilhelm KRUMMACHER
Als angesichts der größten Katastrophe unserer Geschichte der Kulturbund gegründet wurde, konnte kein wirklich vaterlandsliebender Deutscher daran zweifeln, dass die innere Erneuerung unseres kulturellen Lebens nur gemeinsam bewirkt werden kann. Gemeinsam, das heißt aber in einer großen unabhängigen, überparteilichen Arbeit, die sich, wie es Johannes R. Becher in seinem „Deutschen Bekenntnis“ aussprach, auf die drei großen tragenden Kräfte: der Demokratie, des Sozialismus und des Christentums, stützen muss.
Das war kein am Schreibtisch erklügeltes Programm, sondern es war die im Kampf gegen Hitler in der deutschen Widerstandsbewegung, vor allem aber in den KZs im Leid bewährte Gemeinsamkeit deutscher Menschen, die sich bei voller Wahrung ihrer verschiedenen Glaubensüberzeugungen nicht auseinanderreißen lassen wollten. Christen und Marxisten, Arbeiter, Künstler und Gelehrte, Demokraten und Sozialisten hatten sich damals zusammengefunden. Auf dieser lebendigen Tradition der deutschen Widerstandsbewegung baute der Kulturbund das auf, was man mit Recht als einen „neuen Stil geistiger Auseinandersetzung“ bezeichnet hat.
Heute will man uns einreden, dass es an der Zeit sei, Gegensätze aufzureißen oder bestimmte weltanschauliche und politische Überzeugungen von vornherein aus unserer Gemeinschaft auszuschließen. Wir aber wollen uns nicht von außen zerreißen lassen. Wir sehen gerade darin eine der fruchtbarsten Möglichkeiten unserer kulturellen Erneuerung, dass wir die schicksalhafte Verschiedenheit der echten kulturschöpferischen Kräfte in unserem Volk bejahen, nicht als Gegensätze, sondern als Spannungen, die in sachlichem und lebendigem Gespräch, nicht aber auf der Ebene unsachlich und persönlich gefärbter Polemik auszutragen sind. Dass so etwas möglich ist, das ist die Erfahrung der letzten zwei Jahre, eine für uns alle beglückende und verpflichtende Erfahrung, an der auch Männer von inter-nationalem Rang – ich nenne nur den Namen des Schweizer Theologen Karl Barth – durch ihre Gespräche im Kulturbund lebendigen Anteil gehabt haben.
Wir haben innerhalb des Kulturbundes nichts davon gespürt, dass man Minderheiten überstimmt oder einzelne Geisteskräfte ausgeschaltet hätte. Der Kulturbund lebt vielmehr von diesem ständigen Gespräch und von der ehrlichen geistigen Auseinandersetzung bei nüchterner und sachlicher Anerkennung der Unterschiede, die nun einmal – um nur ein Beispiel zu nennen – zwischen einem fest im christlichen Glauben verankerten Menschen und einem überzeugten Anhänger des dialektischen Materialismus bestehen. Oder — so muss man schon fragen – hält man uns für so charakterlos, dass wir als überzeugte Christen unseren Glauben für ein Linsengericht verraten würden ? Nein, Männer und Frauen aus den Reihen der christlichen Kirchen haben wohl gewusst, was sie taten, als sie sich dem Kulturbund zur Mitarbeit zur Verfügung stellten. Wir haben wirklich keine Angst, unsere Überzeugung in einer echten geistigen Auseinandersetzung mit Andersdenkenden zu verlieren.
Im Gegenteil: Wir meinen, dass die Kräfte des Glaubens, die in den christlichen Kirchen in Deutschland heute stärker als früher aufgebrochen sind, auch mitten hinein gehören in das große gemeinsame Ringen um wirkliche innere Erneuerung unseres geistigen Lebens. Wir glauben, dass gegen die furchtbar drohende Gefahr eines völligen Nihilismus oder einer müden Apathie keine wohlgemeinten Ratschläge, sondern nur innere Umkehr und Neubesinnung wahrhaft helfen kann. Wir sind der Überzeugung, dass die Botschaft der christlichen Kirche unserem Volk Entscheidendes zur Erkenntnis der Irrwege der Vergangenheit, aber auch zu dem getrosten Anfang eines neuen Weges zu sagen hat. Mit diesem besonderen Auftrag der Kirche begegnen wir aber auch in freimütiger Offenheit allen denen, die auf ihren eigenen Wegen historischer und gesellschaftlicher Erkenntnis darum ringen, die Wurzeln unserer deutschen Katastrophe in der Vergangenheit zu erkennen und von innen her zu überwinden. Sollten wir nicht diese echte geistige Auseinandersetzung zwischen der Kirche und dem kulturellen Leben fortführen? Der Kulturbund bietet uns die breite unabhängige und überparteiliche Möglichkeit dazu, auf die wir keinesfalls verzichten wollen.
Erst recht gilt das von der für unsere geistige Erneuerung unerlässlichen humanistischen Gesinnung. Die vom politischen Tageslärm schon wieder überdeckte tiefe Sehnsucht nach wahrer Menschlichkeit, nach einem neuen, sozialen Humanismus, trifft sich in dieser Stunde unserer Geistesgeschichte – das ist uns ein bedeutsames Zeichen! – mit der Neubesinnung der Theologie auf das wahrhaft christliche und biblische Bild vom Menschen, Gegenüber Rassenhochmut menschlicher Überheblichkeit, gegenüber jeder Form von Unmenschlichkeit, gegenüber jeder Bedrohung der freien menschlichen Persönlichkeit, aber auch gegenüber jedem allzu billigen Optimismus von der ungebrochenen Güte des Menschen geht es uns um ganz nüchterne und realistische Besinnung auf das gottgewollte Wesen des Menschen. Hier liegt eine noch nicht annähernd ausgeschöpfte Möglichkeit zur fruchtbaren geistigen Auseinandersetzung zwischen christlichem Menschenbild und sozialem Humanismus. Gerade deshalb sehen wir uns dem Kulturbund innerlich verpflichtet.
Wir können das alles nur andeuten; aber wir meinen, das sind nicht Gesprächsthemen nur für eine einzelne Zone oder gar für einzelne Sektoren. Nein, es sind umfassende Fragen, die wie Funken die Zonen- und erst recht Sektorengrenzen überspringen werden. Zonen- und Sektorengrenzen können niemals geistige Grenzen sein. Ich darf das als Mann der Evangelischen Kirche in Deutschland mit besonderem Nachdruck aussprechen, denn die Evangelische Kirche in Deutschland kennt auch für ihre kirchliche und geistliche Arbeit solche Grenzen nicht. Sie hat über Zäune und Zonen hinweg diese brüderliche Verbundenheit in den vergangenen 2½ Jahren immer wieder bekräftigt, zugleich als stellvertretenden Dienst an dem in seiner Einheit bedrohten deutschen Volk.
Seit Martin Luther mit schöpferischer Sprachgewalt die Bibel ins Deutsche übertrug, hat die deutsche Sprache auch die Einheit der deutschen Kultur mit geprägt. Auch in diesem Ringen um kulturelle Einheit und damit um gemeinsame deutsche Verantwortung begegnet die Evangelische Kirche dem Wollen des Kulturbundes in offenem Verständnis.
Wenn die Einheit des deutschen Volkes zerbrechen würde, so wäre aber vor allem eine Quelle der Zwietracht und eine ständige Gefahr für den Frieden aufgebrochen. Gerade als Christen können wir nicht anders, als alle aufrichtigen Kräfte wahrer friedlicher Gesinnung zu stärken. Wenn es das unermüdliche Anliegen des Kulturbundes in den letzten zwei Jahren war, vor den Völkern der Welt den ehrlichen Namen eines friedliebenden deutschen Volkes mit den Anfängen einer inneren Erneuerung wieder glaubhaft zu machen, so begegnet das auch dem Anliegen der Christenheit in Deutschland, die dank der ökumenischen Verbundenheit mit den christlichen Kirchen anderer Völker die ersten Brücken über tiefe Gräben des Hasses schlagen durfte. Wir wünschen deshalb von ganzem Herzen, dass auch der Kulturbund frei und ungestört sein Werk des Friedens zwischen den Völkern weitertreiben kann. Die gegenwärtige, ohne unseren Willen entstandene Lage des Kulturbundes aber ist geeignet, diese Ansätze einer wahrhaft friedlichen Arbeit Zu gefährden. Wir können daher nur bitten, dass unser Wort nicht überhört werde bei allen denen, denen es ernst ist um den Frieden in der Welt.
ERNST LEGAL
Wir deutschen Menschen, die wir unser Land lieben und sein Leid, die wir in ihm verankert sind, die wir an seiner Reinigung und Genesung arbeiten, und die wir dabei gleichzeitig wissen, dass es den deutschen Menschen nicht allein auf der Welt gibt, dass ohne die Liebe und ohne die Wahrheit kein Leben im Geiste des Friedens auf Erden möglich ist, brauchen vor allem eines: den Mut zu uns selbst.
In ihm liegt das Samenkorn zu dem, was wir Kultur nennen, und jede Bestrebung kulturhafter Art wird daher bei der Arbeit am eigenen Selbst beginnen müssen. Dazu aber gehört wiederum Mut: Mut, sich zu sich selbst zu bekennen, Mut, sich vor der Welt zu bekennen.
Mut haben aber, heißt Freiheit haben. Und um des Mutes willen und um der Freiheit willen sind wir heute Abend hier versammelt. Mut und Freiheit des Bekenntnisses aber bergen in sich als köstlichste Frucht die Liebe.
Und die Liebe des Menschen gilt dem Menschen – und dem in ihm, was allen Menschen gemeinsam ist, der menschlichen Seele. Und die Seele ist ein Element des Göttlichen. Und das Göttliche verbindet uns alle, die wir auf Erden geboren werden, leben und wieder davongehen. Ihm sucht der Kulturbund, dem Demos und Kratos als in sich selbst unerschütterliche Begriffe eingeschrieben sind, seine Arbeit unermüdlich und unverdrossen zu widmen, mit dem einzigen Ziele: dem Frieden auf Erden zu dienen und der verschütteten Liebe unter den Menschen wieder ans Licht unserer gemeinsamen Tage zu helfen.
Eine der großen Offenbarungen dessen, was wir das Göttliche nennen, ist die Kunst, und wenn ich hier als Vertreter eines ihrer vielfältig reichen Zweige vor Ihnen sprechen darf, wenn ich mich im Namen meines Bundes zu den Symbolen der Bühne und zu ihrer Kraft gläubig bekennen darf, so spreche ich damit schon aus, wie unendlich, ja doppelt schmerzlich es für meine Kameraden und mich sein müsste, den um die Erde reichenden Lauf der in uns wirkenden Sehnsucht aufgehalten und behindert zu sehen, denn keine begrenzte Kunst und keines ihrer Symbole besteht durch sich selbst und kann auf die Dauer aus sich allein Nahrung ziehen. Das haben alle großen Geister aller Jahrtausende, aller Farben, aller Nationalitäten und aller Glaubensrichtungen erkannt, und wenn wir uns heute vielleicht mit größerem Rechte als einst der Neandertaler Menschen nennen können, so verdanken wir das dem Austausch und der Wechselwirkung von Mensch zu Mensch mehr noch als dem von Land zu Land. Gottes ist der Orient, Gottes ist der Okzident.
Nicht anders verhält es sich mit dem Menschen. Ihn in dem anderen, in dem Nachbar, und unabhängig von den Sorgen und Gebundenheiten der Geburt, des Ortes, des Einzelschicksals und seines Glaubens erkennen, lieben und ehren: nichts anderes wollen wir.
ERNST LEMMER
In die Diskussion, die seit einiger Zeit über die Position und Wirksamkeit des Kulturbundes geführt wird, möchte ich mich mit wenigen, einfachen Worten einschalten. Nach meiner Überzeugung ist es nicht seine Schuld, wenn sich gegen seine Tätigkeit Schwierigkeiten erhoben haben, die um der inneren, moralischen und geistigen Erneuerung unseres Volkes willen tief bedauert werden müssen. Die Männer und Frauen, die nach dem erschütternden Erleben des deutschen Zusammenbruchs sich im frühen Sommer 1945 zu seiner Gründung zusammen-fanden, sind sich und der Aufgabe, die sie sich im Wissen um die kulturelle Vertiefung des Versuchs einer nationalen Wiedergeburt stellten, nicht untreu geworden. Nicht der Kulturbund und die geistigen und politischen Grundlagen seines Wirkens haben sich verändert, was sich geändert hat, das ist die Welt außerhalb seines Bereichs.
Es ist allerdings nicht zu leugnen, dass diese Wandlungen auf dem Felde der internationalen Entwicklung für uns, die wir mit neuer Gesinnung um die Wiederaufrichtung eines demokratischen Deutschlands bemüht sind, entmutigend sein können.
In unserem Volk, das ohnehin eine allzu geringe Immunität seiner politischen Haltung besitzt, wird dadurch zwischen Kräften, die notwendigerweise gegen die latente Bedrohung seiner demokratischen Existenz zusammenwirken müssten, ein bedenklicher Zwiespalt aufgerissen. Die Folge ist, dass die demokratische Entwicklung in beunruhigender Parallelität mit den verhängnisvollen Erscheinungen der Weimarer Demokratie wiederum von der Intoleranz derer bedroht wird, die diesmal nach der furchtbaren Lehre, die uns durch schicksalschweres Geschehen erteilt worden ist, unter allen Umständen miteinander tolerant sein müssten. Der politische Zustand, der sich seit dem Zusammenbruch durch das Erbübel der Deutschen, der Befehdung aller gegen alle, herausgebildet hat, erscheint wahrlich trostlos.
Diese Trostlosigkeit kann nicht damit entschuldigt werden, dass auf die zweifellos bestehenden Einflüsse von außen hingewiesen wird, die sich im Hintergrund der innerdeutschen Zwietracht abzeichnen. Unser Land mit der unverminderten Fragwürdigkeit seiner nationalen Existenz muss vielmehr als ein absolut untaugliches Objekt für den Austrag internationaler Spannungen angesehen werden. Das gilt nicht zuletzt auch für die einzigartige Situation in dieser Stadt mit ihrem Kondominium von vier Besatzungsmächten. Es steht außer Frage, dass durch solche Spannungen jedenfalls diejenigen entmutigt werden müssen, die sich unter den denkbar schwierigsten Voraussetzungen um eine wirkliche Demokratisierung unseres nationalen Lebens bemühen. Aufgemuntert können dadurch nur jene werden, die als die verhängnisvollen. Repräsentanten eines gestrigen Deutschlands sich in neuen Spekulationen ergehen könnten.
Als überaus tragisch muss man es daher empfinden, dass ausgerechnet der Kulturbund mit seinen auf die Demokratisierung unseres Volkes gerichteten Bestrebungen, die nach Lage der Dinge den Parteien allein nicht überlassen werden können, in eine durch äußere Vorgänge und formale Interpretationen ausgelöste Krisis seiner Wirksamkeit geraten ist. Wem an der ethischen und moralischen Erneuerung der Grundlage unserer Politik gelegen ist, wird auf die Mitwirkung einer Organisation und Bewegung, wie die des Kulturbundes, nicht verzichten wollen. Niemandem wird es verwehrt sein, seine Wirksamkeit aufmerksam zu beobachten und insbesondere darauf zu achten, dass sein überparteilicher Charakter gewahrt bleibt. Wer sogar glaubt, ihm mit kritischer Aufmerksamkeit gegenüberstehen zu müssen – ein gewisses Maß von Misstrauen gilt vielen als Tugend der Demokratie -, der möge das tun. Das kann bis zu einem gewissen Grade nützlich und erzieherisch sein. Aber um der großen Aufgaben willen, vor die wir uns alle miteinander bei der Grundsteinlegung für den Aufbau eines demokratischen, erneuerten Deutschlands gestellt sehen, soll man den Männern und Frauen aus den verschiedensten kultur-schaffenden Schichten keine Schwierigkeiten bereiten, durch die sie gehindert werden, ihren besonderen Beitrag für die notwendige Wiederherstellung deutschen Lebens zu leisten:
Zu solchem Bekenntnis fühle ich mich denen gegenüber verpflichtet, mit denen ich im Präsidialrat des Kulturbundes mit einer Reihe meiner engeren politischen Freunde seit dem frühen Sommer des Jahres 1917 vertrauensvoll zusammen gearbeitet habe.
PROFESSOR DR. HEINRICH DEITERS
Aus der Mitte des Präsidialrates ist mir eine Entschließung vorgelegt worden, die ich nun zur Verlesung bringen möchte.
Sie hat folgenden Wortlaut:
„Die im Großen Sendesaal des Berliner Rundfunkhauses zahlreich versammelten Vertreter des Berliner geistigen Lebens erheben feierlich Protest vor der deutschen und der internationalen demokratischen
Öffentlichkeit gegen das Verbot des Kulturbundes im amerikanischen und englischen Sektor von Berlin.
Dieses erste Verbot einer großen demokratischen Organisation muss sich gegen die Demokratisierung Deutschlands auswirken, die von den Vereinten Nationen am Ende des Krieges als die entschiedene Aufgabe zur Sicherung des Friedens erklärt wurde.
Dieses Verbot ist ein Schritt zur weiteren Aufspaltung des kulturellen und nationalen Lebens unseres Volkes. Die im Berliner Funkhaus Versammelten bitten den Alliierten Kontrollrat und die Londoner Außenministerkonferenz, den Berlinern zu gestatten, dass sie einer einheitlichen demokratischen Kulturorganisation als Mitglieder angehören dürfen.
Die Versammelten erklären sich gegen alle geistigen, wirtschaftlichen und politischen Sektoren- und Zonengrenzen, sie erneuern ihr Bekenntnis zur Einheit Deutschlands, in der auch dem Kulturbund die notwendige Freiheit zu seiner Betätigung gegeben werden soll.
Die Versammelten wenden sich an alle geistig interessierten Menschen Berlins und fordern sie auf, dem großen Werk der demokratischen kulturellen Erneuerung Deutschlands weiterhin ihre Kraft zu leihen und ihm immer neue Kräfte zu gewinnen.“
Ich stelle die Entschließung zur Abstimmung und bitte diejenigen, die für die Entschließung sind, die Hand zu erheben.
Ich bitte um die Gegenprobe: Wer ist gegen die Entschließung?
Ich stelle fest, dass die Entschließung einstimmig angenommen ist.
Zum Abschluss unserer Kundgebung danke ich im Namen des Kulturbundes Ihnen allen nochmals für die Aufmerksamkeit und Ausdauer, mit der Sie hier ausgehalten haben. Wir fühlen uns mit Ihnen allen verbunden. Wir schließen niemanden aus unseren Reihen aus, wir heißen alle bei uns willkommen, die im Wesentlichen mit uns einig sind. Die Einheit Deutschlands fällt uns nicht in den Schoß, sie muss unter Anstrengungen errungen werden. Möge diese mächtige Kundgebung mit ihren Wirkungen über diesen Saal hinausdringen und dazu helfen, dass dem Kulturbund der Weg freigemacht wird in ganz Berlin und in allen Zonen Deutschlands, zum Besten unseres Volkes.
Erschienen im Aufbau-Verlag, Berlin
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